Archive for Mai 20, 2010

eintrag über meine erste chemo

puh, gestern abend war ich dann doch ganz schön geschafft! ständig will einer was von einem, und dann sitzt auch noch der vater  meiner nachbarin ewig mit im zimmer und die beiden gucken fernsehen, und ich kann mich einfach nicht mehr konzentrieren. deswegen verzeiht mir, dass der gestrige eintrag stilistisch nicht gerade ein meisterwerk war!

so, heute gibt es als kleines leckerlie mal wieder einen supergeheimen tagebucheintrag über meine erste chemotherapie. ihr müsst wissen, dass ich mein tagebuch nicht chronologisch führe (ich bin kein mensch der ordnung), sondern immer mal wieder situationen oder gedanken notiere, die mir (wieder) einfallen. in diesem ist also die chemo festgehalten. ihr bekommt jedoch nur einen gewissen abschnitt zu lesen, da der rest einfach zu langwierig für so nen einzelnen blogeintrag ist. zur erklärung: sonntagmittag ging die chemo los und ich bekamm sonntagnacht auch prompt fieber, was die ärzte erst ein wenig beunruhigte. vorher haben sie mich über zahlreiche lustige nebenwirkungen aufgeklärt, ihr bekommt den zweifellos unangenehmsten teil davon jetzt serviert: meine psychosen. Ach, und Johannes ist übrigens mein Infusionsständer. Also, ich hoffe ich konnte es so schreiben, dass ihr euch ein wenig in mich reinversetzen könnt:

In der Visite betasten die Ärzte wie immer mein Bein – aarr, wie ich es hasse, wenn sie es anfassen! – und beratschlagen stirnrunzlend, was das Fieber bei mir ausgelöst haben könnte. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Chemotherapie schon angeschlagen hat und dass der Tumor schon beginnt, zu zerfallen. Das löse in manchen Fällen Fieber aus, erklärt mir Herr Pursche.

„Das ist ein sehr gutes Zeichen, wir sind nur überrascht, dass das so schnell geht bei Ihnen.“ Fügt er noch hinzu.

Ich bin recht gut gelaunt. Wenn Fieber die einzige Nebenwirkung bleibt, nun gut, dann kann ich damit leben. Den Vormittag über geht es mir recht gut, ich bin nur total erschöpft. Aber eine Chemotherapie ist nun mal kein Ausflug auf den Ponyhof, sage ich mir.

Das Mittagessen will ich dann aber doch nicht anrühren. Dann kommt wieder die Schwester  und hängt mir Chemotag Nummer 2 an Johannes an. Wieder warte ich. Was wird wohl nun passieren? Ein wenig spannend ist es ja schon, dieses Roulette der Nebenwirkungen. Aber bisher war’s ja gar nicht so schlimm.

Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen. Mein Kopf fängt an zu dröhnen. Plötzlich tummeln sich eine Menge Menschen im Raum. Ich will Schwester Juliane ansprechen, und öffne den Mund. Doch mir fällt auf, dass nur meine Mutter neben meinem Bett sitzt, und bis auf meine friedlich schlummernde Nachbarin ist das Zimmer ansonsten leer. Verwundert starre ich durch den Raum. Seltsam. Ich schließe wieder die Augen. In der oberen Zimmerecke lauern kleine kichernde Kobolde in grünen Anzügen. Okay, jetzt reicht’s. Was soll das? Wo kommen diese verdammten Kobolde her? Und vor allem: was wollen die von mir?

Aber zum Glück ist ja meine Mutter da, um mich zu beschützen. Ich öffne wieder die Augen und will ihr zurufen, sie solle sich vor den Kobolden in Acht nehmen! Aber sie sitzt ruhig da, liest Zeitung und das Zimmer ist wieder leer. Verdammt.

So geht es den ganzen Nachmittag. Farben, Fratzen und Menschen überall. Doch sobald ich die Augen öffne, sind sie verschwunden. Ich werde hier noch wahnsinnig!

Abends kommt die Schwester, um mich zu waschen. Ich muss zweimal hingucken, um sicherzugehen, dass sie weder Kobold noch irreal ist.

Als sie weg ist, fällt mir auf, dass ich mal muss. Okay, was war in so einem Moment zu tun? Rufen? Nein. Ich könnte einen Stift in die Hand nehmen. Ich greife nach meinem Kugelschreiber, doch niemand kommt. Also doch was anderes. Meine Triangel, die über dem Bett hängt? Ich ziehe und ziehe, aber es kommt immer noch keine Schwester. Die Klingel! Jetzt fällt es mir wieder ein.  Aber wo war die gleich noch mal? Nach langem Suchen finde ich sie, und brauche weitere fünf Minuten, um mich zu erinnern, wie ich sie zu bedienen habe. Aber es kommt jemand!

„Na Bianca, was ist los?“ fragt Schwester Suse  mich. Ich starre sie an. Verdammt, was wollte ich denn jetzt?!

„Ich….tut mir leid….ich weiß nicht mehr, warum ich geklingelt habe!“

Schwester Suse lacht. „Ist nicht so schlimm, denk noch mal nach.“  Hm. Schieber? Bettlaken wechseln? Wollte ich nicht fragen, wie man klingelt? Das logischste wäre wohl, nach einem Schieber zu klingeln. Mein Gedanke scheint richtig zu sein, denn das brennende weiße Pferd neben meinem Bett fängt an zu wiehern.

„Ich glaube, ich brauche einen Schieber.“ Schwester Suse holt sofort einen und schiebt ihn mir unter den Hintern. Ich solle klingeln, wenn ich fertig bin. Schöne Scheiße, ich habs doch schon kaum geschafft, sie zu rufen! Ich erkläre ihr mein Dilemma, ich weiß nicht, ob ich es wirklich tue, doch in Gedanken auf jeden Fall. 

Irgendwann klingelt etwas. Ich muss eingeschlafen sein, denn draußen ist es dunkel. Und auf diesem Schieber liege ich immer noch, verdammt! Aber okay, erst mal mit dem Klingeln klarkommen. Was ist es? Ich bilde es mir nicht ein, es ist wirklich da. Ein Vogel? Nein, der klingelt nicht. Ein Handy? Ja, bingo, Handys klingeln! Wie sahen die gleich noch mal aus? Ich greife nach dem erstbesten Gegenstand auf meinem Tisch. Ich halte es mir ans Ohr. „Hallo?“ frage ich mein Asthmaspray. Doch es antwortet nicht. Wird wohl nicht das Handy gewesen sein. Aber wenigstens hat das Klingeln aufgehört.

Ein wenig später kommt die Schwester wieder rein und holt mich vom Schieber. Ich starre sie verzweifelt an. „Ist etwas? Brauchst du etwas?“ fragt sie mich. Ich will sie fragen, wie man ein Telefon bedient und wie ein Handy aussieht, aber der Satz will sich nicht mal mehr in meinem Kopf bilden. Irgendwann geht sie.

Düdelüdedüm. Mist, schon wieder! Jetzt muss ich handeln. Dieses Mal bin ich mir sogar sicher, dass es ein Telefon und kein Handy ist. Aber ob bei mir oder meiner Nachbarin, das weiß ich nicht. Egal, ich probier es einfach. Ich greife mir meine Packung Taschentücher und frage sie, wer dran ist. Wieder keine Antwort, aber das Klingeln geht weiter. Ich schnappe mir den nächsten Gegenstand. Er fühlt sich gut in der Hand an, wie ein Hörer. Aber noch immer antwortet niemand. Vielleicht muss ich ihn kippen? Platsch, da landet Wasser in meinem Ohr. Mist, es war der Schnabelbecher! Resigniert will ich aufgeben, greife in meiner Verzweiflung aber endlich den Telefonhörer. Ich weiß gar nicht, wer dran ist, sage nur, dass er oder sie später anrufen soll.